Der Ochs und sein Hirt

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Soli Deo Gloria.


Einleitung

Wenn ich mich mit der geistigen Entwicklung des Menschen beschäftige, werde ich wahrhaftig Cosmopolitan. Der Werdegang des Menschen hat Gemeinsamkeiten, egal welcher Rasse oder Religionszugehörigkeit.

Die zehn Ochsenbilder stellen den ganzen Entwicklungsgang des Zen-Schülers vom Zustand vor der Erleuchtung bis zur Erleuchtung und ihrer vollen Auswirkung symbolisch dar.

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Die Suche nach dem Ochsen

Gefahrvolle Sümpfe und endlose Wälder durchstreift der Hirte und sucht seinen Ochsen. Breit sind und ohne Namen die Flüsse am Pfade, fast undurchdringlich das Dickicht der fernen Berge. Völlig erschöpft ist er, verzweifelt ermattet sein Herz. Wo denn sollte er suchen? Nur der Zikaden Zirpen trifft im Dämmer des Abends sein Ohr.

Die Suche nach dem Ochsen

Die Suche

Der Aufbruch zur Suche nach dem verlorenen Selbst

(1) ist unabhängig vom Alter
(2) und führt den Suchenden auf verzweigten Wegen zum Ziel
(3), das eigentlich das Universum ist,
wie der Weg des Bogens uns zeigt (6).

Konfuzius markiert die entscheidenden Einschnitte eines solchen Weges (4),
und ein junges Mädchen von heute bezeugt die notwendige Entschlossenheit auf dem Weg zur Erleuchtung (5),
auf dem innere Erfahrungen, stark wie ein Vulkanausbruch, keine Seltenheit sind (7).
Die Unruhe des Suchens kündigt bereits das neue Bewußtsein an (8),
um sich von den Götzen des rationalen Bewußtseins zu befreien (9)
und auf den Trümmern des längst baufälligen Hauses das neue Zeitalter mitzugestalten (10).

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Das Finden der Ochsenspur

Unzählig die Spuren des Ochsen, die er gesehen am Ufer des Flusses und unter den Bäumen. Sieht er dort drüben wohl auch das zertretene Gras? Wie tief auch die Schluchten der ragenden Berge, verbergen des Ochsen Nase können sie nicht, reicht sie doch fast bis zum weiten Himmel.

Das Finden der Ochsenspur

Die Spur

Daß diese Spurensuche

(11) mit Unwägbarkeiten und Schmerzen verbunden ist, bezeugt die erste Zen-Erfahrung
(12) und die mühselige Suche nach dem richtigen Meister.

(13) Die verschiedenen Zen-Wege leben von der Lebensphilosophie,
daß der Spurwechsel von alten Lebensgewohnheiten unabdingbar dazu gehört (14),
und daß der Weg auf der Spurensuche bereits das Ziel ist (15).
Auch wenn man auf der Ochsenspur ist,
geschieht die Erleuchtung nicht automatisch,
sondern bedeutet meistens harte Arbeit;
sie kommt oft wie ein Blitz in der Dunkelheit (16)
und ist angekündigt durch die vom Unterbewußtsein befreiten Phänomene (17).

Die Spuren des Selbst sind im Alltag erkennbar;
zum Zen gehören die Hausarbeit (18),
das Essen, wenn man hungrig ist und
das Schlafen, wenn man mude ist (19).
In diesem Punkt unter anderen trifft sich die östliche Spiritualität mit der westlichen Mystik (20).

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Das Finden des Ochsen

Hell ertönt der Nachtigallen Gesang.
Warm liegt die Sonn' auf den Blättern
der im Winde sich wiegenden Weiden.
Dort entdeckt er den Ochsen,
nichts mehr kann ihn verbergen.
Welch herrliches Haupt, welch stattliche Hörner!
Kein Maler könnt' es erreichen.

Das Finden des Ochsen

Die Entdeckung

Den Ochsen findet man (21)
aus einer tiefen Versenkung heraus (22).
Das unermüdliche Sitzen - Zazen - ist in der Übung des Nichtdenkens wie der Fuji-Berg (23)
und führt zur Praxis des Sich-auf-eines-Konzentrierens (24),
wie dies die Schwertkämpfer tun,
indem sie den Feind im eigenen Herzen besiegen (25),
was schon manche Samurai ins Zen-Kloster geführt hat (26).

Für den Meister sind dies untrügliche Zeichen der nahenden Erleuchtung: Entspannung und Freude (27)
und die Bereitschaft, bei der Sache zu bleiben,
auch gegen manche menschlichen Regungen unterwegs (28).
Der Mönch in uns konzentriert sich aufs Üben so intensiv,
daß der Schweiß ausbricht (29),
wie dies bereits das Jesusgebet in östlicher Kirche eindrucksvoll bezeugt (30).

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Das Fangen des Ochsen

Fest ergreift der Hirte das Leitseil des Ochsen.
Mit Mühe nur hält er ihn fest.
Sein Sinn ist noch immer zu heftig,
zu ungestüm seine Kraft.
Bald stürmt er hinauf ins Hochland,
bald strebt er nach Schluchten voll Nebel und Dunst,
um dort zu verweilen.

Das Fangen des Ochsen

Das Ungestüm

Das Fangen des Ungestümes in uns (31)
ist ein schmerzhafter Vorgang,
bis man die Zikade der alten Gewohnheiten zum Schweigen bringen kann (32).
Es bedarf oft des Mutes auf Leben und Tod,
wie jener Teemeister,
der zum Kampf mit einem Samurai aufgefordert wurde (33)
und wie der Altmeister Rinzai in seinem Aufruf
"Töte den Buddha!" (34) und
in seinem Verhalten nach der Erleuchtung bezeugt haben (35).

Mühsam kommt man zu dieser ersten "kleinen" Erleuchtung,
die dann in die "große" Erleuchtung
in einem langwierigen Prozess integriert werden muss (36),
wobei oft mit der Anerkennung gezögert und gezweifelt wird (37),
bis z.B. die Arbeit mit dem Koan MU abgeschlossen wird,
das vom Altmeister Joshu stammt (38).
An dieser Mühe der Selbstbeherrschung in bezug auf unverständliche Reaktionen des Zen-Meisters (39),
an dieser "Nacht des Geistes" der westlichen Mystik genauso wie der des Zen führt kein Weg vorbei (40).

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Das Zähmen des Ochsen

Straff muß er halten das Leitseil des Ochsen.
Nicht einen Augenblick darf er es lockern
noch geben ihm Raum.
Sonst liefe der Ochse zurück zum morastigen Grund.
Geduldig gezähmt jedoch wird er sauber und sanft,
und ohne Fessel und Seil folgt er willig dem Hirten.

Das Zähmen des Ochsen

Das Zähmen

Nun kommt das alltägliche Zähmen in vollen Gang (41)
der große Weg von der Vorderseite zur Rückseite des Geistes (42)
führt zur Buddhanatur, die in jedem von uns als das eigentliche Selbst zu entdecken ist (43),
wenn auch uns dieses Zähmen jahrelange Übung,
wie bei Boddhidharma (44),
oder geduldiges Warten auf den Einlaß zur Nachfolge des großen Meisters (45)
kosten sollte.

Tränen der Freude und der Ergriffenheit nach der ersten Erleuchtung (46)
folgen der Überwindung des Pseudo-Ich (47),
manchmal mit Hilfe des Warnungsstabes (48)
und der "dunklen Beschauung",
wie Johannes vom Kreuz jene Selbstverleugnung im Nichts und Dunkel genannt hat (49);
Meister Eckhart hat sie als absichts- und begriffslose Offenheit auf das Absolute ohne "Warum" verstanden (50).

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Die Heimkehr auf dem Rücken des Ochsen

Auf dem Kopfe den Strohhut
und mit wehendem Umhang,
so reitet er heim auf dem Rücken des Ochsen,
gelassen und heiter.
Weit in den fallenden Nebel des Abends
tönt der Klang seiner Flöte.
Takt für Takt und Vers für Vers
verrät die Stimmung des Hirten.
Wer immer ihn hört, weiß wie dem Hirten zumut' ist.

Die Heimkehr auf dem Rücken des Ochsen

Die Heimkehr

Die Heimkehr zu sich selbst (51)
ist kein momentanes Geschehen,
sondern ein ununterbrochenes Streben nach dem inneren Ausgleich bis ins hohe Alter (52),
bis das Herz vollkommen rein ist (53).
Daraus lebt der Erleuchtete sein Leben lang:
Dies hilft ihm, im Ton einer Tempelglocke
die ganze kosmische Symphonie zu erleben (54)
und den modernen Gefährdungen zu entgehen (55).

Dann ist man frei, den Sinn des Unbegreiflichen
wie der Japaner Kosen Imakita zu verstehen (56),
laute Freudenschreie wie Meister Yamada auszustoßen (57),
wie eine buddhistische Nonne aufs Feld zu laufen, um sich auszulachen (58),
dem Armen das Letzte zum Essen zu geben wie Dogen (59).
Solche Haltungen sind sowohl bei den Weisen des Ostens wie auch bei den Heiligen des Westens zu beobachten (60).

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Der Ochs ist vergessen, der Hirte bleibt

Heimkehren konnte er nur
auf dem Rücken des Ochsen.
Doch siehe, der Ochs ist verschwunden.
Allein sitzt der Hirte heiter und still.
Schon steht die glutrote Sonne am Himmel,
er aber träumt friedlich weiter.
Unter dem Strohdach liegen nun nutzlos
Leitseil und Peitsche.

Der Ochs ist vergessen, der Hirte bleibt

Das Vergessen

Das Vergessen des Ochsen (61)
versinnbildlicht die Erfahrung,
woran sich die Erleuchtung entzündet (62)
sowie die Überwindung der Widersprüche,
welche vor allem aus dem gegenständlichen Denken resultieren (63).
Der Mensch schafft sich die Räume der Ruhe,
wie ein Teemeister seinen Raum harmonisch gestaltet (64),
und ist fähig, zum Beispiel, bei der Koanarbeit,
beim Fallen eines Blattes vom Baum für die Erleuchtung offen zu bleiben (65)
und das Zazen des Herzens zu pflegen (66).

Der Einsiedler in uns, der solche stille Stätten sucht,
ist kein Schmarotzer (67).
Um durchs vergitterte Fenster unseres Ego gänzlich ins Freie durchzukommen (68),
muß der Erleuchtete auch seine Erleuchtung vergessen und
neue Aufmerksamkeit für Menschen und Gott entfalten (69).
Hier trifft sich wiederum das Zen mit dem Christentum,
trotz unterschiedlicher Auffassung des Gottesglaubens (70).

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Die vollkommene Vergessenheit von Ochs und Hirte

Peitsche und Leitseil, Ochse und Hirt
sind spurlos verschwunden.
Weit, ja unendlich, der tiefblaue Himmel,
nicht mehr beschreibbar im Wort.
Kann denn der Schnee
über loderndem Feuer bestehen?
Ist er dahin gelangt,
kann er dem Geist der alten Meister entsprechen.

Die vollkommene Vergessenheit von Ochs und Hirte

Die vollkommene Vergessenheit

Der Mangel an Details in diesem leeren Kreis als Zeichen der vollkommenen Vergessenheit (71)
verrät das Einssein von Leben und Tod (72)
sowie die Fülle der Erleuchtung,
die jede Schale der begrifflichen Wahrnehmung durchbricht (74)
und vor jeder bestechlichen Manipulation,
wie bei Dogen (73)
oder Rikyu (76)
auch mit dem Preis des Verzichts auf Vermögen oder auf Leben schützt.
"Wenn Herz und Sinn vernichtet sind",
ist sogar das brennende Kloster keine Gefahr mehr (75).
Eine echte Gefahr besteht jedoch in der Einbildungskraft in bezug auf Erleuchtung (77),
ähnlich wie bei einer tiefen Glaubenserfahrung (78),
die beim Mystiker durch eine "Unwissenheit" überwunden wird (79)
und wie ein schmutziges Kleid abgeworfen wird (80).
Erst die Leere wird zur Fülle.

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Zum Ursprung zurückgekehrt

Zum Ursprung ist er zurückgekehrt,
zur Quelle, der er entsprang,
doch seine Schritte scheinen umsonst.
Wie blind ist er jetzt und taub.
In seiner Hütte sitzt er
und nach den Dingen da draußen
verlanget ihn nicht.
Grenzenlos fließt der Fluß wie er fließt,
rot blüht die Blume wie sie blüht.

Zum Ursprung zurückgekehrt

Zum Ursprung

Zen prägt von seinem überzeitlichen Ursprung her (81)
die Menschen und die Landschaft, wie z.B. in China (82)
und zeichnet sich durch eine große Strenge mit Sinn für Harmonie (83)
und eine tiefe Naturverbundenheit aus (84),
die auch in der Kirschblüte als Symbol des Samurais zu sehen ist (85).

Nicht der eingebildete Obermönch,
sondern der naturverbundene Küchenjunge wird ein berühmter Zen-Meister (86),
da das ganze Zen und die Erleuchtung mit der Natur mitklingt (87)
und sich in einem Grashalm widerspiegelt (88).
Der Weg des Heiligen verändert nicht nur ihn (89),
sondern die ganze Menschheit wird durch die Meditation gewandelt (90).

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Das Betreten des Marktes mit offenen Händen

Mit entblößter Brust und nackten Füßen
kommt er zum Markte.
Über und über ist er mit Staub bedeckt,
das Gesicht mit Erde beschmiert,
seine Wangen überströmt ein mächtiges Lachen.
Ohne Geheimnis und Wunder
bringt er verdorrte Bäume jäh zum Erblühen.

Das Betreten des Marktes mit offenen Händen

Im Dienst der anderen

Mit offenen Händen betritt der Erleuchtete den Markt,
tritt in den Dienst der anderen (91)
und trinkt den Tee, ob Buddhist, ob Christ,
wie er ihm serviert wird,
ohne Einzelheiten der Zubereitung zu erfragen (92):
Ohne große religiöse bzw. anthropologische Ideologien zu pflegen, geht er als Mensch zu Mensch (93),
um ihm auf dem Weg des Leidens zu helfen (94),
um mit ihm die alltägliche Arbeit zu verrichten (95).
Diese Religion der Menschenliebe ist umfassender,
als wir gewohnt sind (96):
Nach dem Beispiel von Buddha (97)
wird dieses Geöffnetsein zum Mitmenschen nicht nur gelobt,
sondern im täglichen Verhalten praktiziert (98).
Das Einssein des Zen und jeglicher Mystik ist ein Garant der allumfassenden Liebe (99).

Nach dieser weiten Reise eines Westlers
in die paradoxe Welt des Zen wird ihm plötzlich klar,
daß der Schatz, den er weit sucht,
wie der arme Jude Eisik, mitten in seinem Haus,
in seinem Selbst verschüttet auf das Erwachen wartet (100).

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Literatur


Der Ochs und sein Hirt. Eine altchinesische Geschichte, Verlag Gunther Neske, Pfullingen 1958.

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